Jacqueline Sonego Mettner
Ich besuche es oft und seit langem. Manchmal allein, manchmal zusammen mit ganz verschiedenen Menschen. Manchmal bin ich auch die Reiseführerin und mache kleine Hausbesichtigungen. Das Besondere an diesem Haus ist, dass es sich verändern kann. Mal sind die Zimmer gross und reich ausgestattet; mal besteht es eigentlich nur aus der Küche, wo es immer ein Stück Brot gibt. Manchmal bleibe ich ein wenig und setze mich in der Küche an den Tisch und dann verwandelt sich das Brot in alles, was ich an diesem Tag zum Leben brauche.
Unser Vater im Himmel
Das Entré ist nicht besonders einladend. Es steht da immer so ein alter Mann herum und man fragt sich, ob ihm das Haus allein gehört und immer er der Gastgeber sein muss. Es wäre schön, wenn einen einmal eine Frau empfangen würde oder auch einfach nur ein einladendes Licht. Es gibt zwar Leute, die lieben gerade diesen alten Mann, zu dem sie «Vater» sagen können. Und manchmal komme auch ich angerannt und bin einfach froh, dass ich hier unterstehen kann und ausatmen und es ist mir dann egal, ob die Brust, an die ich mich lehne, behaart oder üppig gepolstert ist.
…
Ja, Mary Daly ist seit 7 Jahren tot. „Jenseits von Gottvater, Sohn & Co.“ hiess ihr wichtiges Buch mit vollem Titel auf Deutsch. Dass die FAMA Gott dem Vater ein ganzes Heft widmet wundert mich. Soll das eine Rehabilitierung sein in Zeiten, wo der Feminismus in den Kirchen fast zum Erliegen gekommen ist, liturgische Sprache selbst von Frauen nurmehr spärlich benutzt wird und sich alles in „Gender“ auflöst? Was Mary Daly, welche übrigens von 1959 bis 1966 an der Universität Fribourg/CH katholische Theologie und Philosophie lehrte und gleichzeitig daselbst ihr zweites und drittes Doktorat in beiden Disziplinen erwarb, auch gesagt hatte war „Wenn Gott ein Mann ist, ist das Männliche göttlich“. Schon vergessen?
Liebe Esther Gisler (und vielleicht andere, die sich in ähnlicher Richtung ärgern)
Haben Sie das Fragezeichen im Titel gesehen? Es steht da nicht zufällig. Und Ich verspreche Ihnen, dass Sie beim Lesen des Heftes nicht nur Mary Dalys Erkenntnisse wiederfinden, sondern auch einige andere theologisch-feministische Entdeckungen machen können.
Viel Vergnügen wünscht Simone Rudiger aus der FAMA-Redaktion
Klar habe ich das Fragezeichen gesehen; -ich bin ja nicht blöd! Meine Anfrage ist grundsätzlicher Natur: Weshalb immer Altes wiederkäuen, wenn das durch Feministische Theologie in die Welt Gebrachtes offenbar nicht richtig rezipiert worden ist? Weshalb nach dem „Vater unser Vater“ fragen, wenn es ein starkes „Mutter unser“ bräuchte; -je länger desto dringender und nötiger?
Und hier noch ein Link auf die Bio von Mary Daly: http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/mary-daly/
Dass es auch anders geht, wusste schon Kurt Marti; -notabene ein Mann! 1982:
1
unser vater
der du bist die mutter
die du bist der sohn
der kommt
um anzuzetteln
den himmel
auf erden
2
dein name werde geheiligt
dein name möge kein hauptwort bleiben
dein name werde bewegung
dein name werde in jeder zeit konjugierbar
dein name werde tätigkeitswort
3
bis wir
loslassen lernen
bis wir
erlöst werden können
damit
im verwehen des wahns
komme
dein reich
4
in der liebe
zum nächsten
in der liebe
zum feind
geschehe
dein wille
durch uns
5
unser tägliches brot
gib uns heute
damit wir nicht nur
für brot uns abrackern müssen
damit wir nicht
von brotgebern erpresst werden können
damit wir nicht
aus brotangst gefügig werden
6
vergib uns
unsere schuld
und die schuld derer
die schuldig geworden sind
an uns
und was
wie niemandes schuld ist:
sachzwänge verhängnis ignoranz
und unseren verdacht
du selber könntest schuldig geworden sein
an soviel elend an zuviel leiden
7
und führe uns nicht
wohin wir wie blind
uns drängen
in die do-it-your-self-apokalypse
sondern erlöse uns
von fatalität und sachzwang
damit das leben
das du geschaffen
bleibe auf diesem kleinen
bisher unbegreiflich erwählten
planeten
im schweigenden all
8
und zu uns
lass wachsen
den baum des glaubens
wurzelnd in dir
entfalte sich seine krone
auf erden:
dein reich
das unsere freiheit
deine kraft
die ohne gewalttat
deine herrlichkeit
durch die wir gelingen können
in ewigkeit
Kurt Marti (1982)
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